Historische Studien
Regensburg 02.12.2011

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Text 7

Lebensspur Familie Jordan (Text 4)

Am 2. April 1942 musste sich die fünfköpfige Familie Jordan – wie andere jüdische Familien – morgens auf dem Gelände der ehemaligen Synagoge am Brixener Hof einfinden. Pro Person waren ein Koffer und ein Rucksack als Gepäck erlaubt, zusätzlich Gartenwerkzeuge – als Tarnung einer geplanten Ansiedlung im Osten. Diese bevorstehende Reise war der Abschied von Regensburg; sie endete in Piaski, einem Durchgangslager im Osten Polens. Weitere Informationen fehlen, vermutlich wurden Julius Jordan und seine Familie in einem Vernichtungslager im Osten Polens ermordet. Inge, die jüngste Tochter der Familie Jordan, war erst sieben Jahre alt und war zugleich der jüngste Passagier auf dieser Reise in den Tod. Sie und ihre beiden Schwestern Klara und Annelore ahnten womöglich nicht, wohin sie diese Reise bringen würde. Der Weg an diesem Samstagmorgen war ein kurzer, denn die Familie Jordan wohnte nur wenige Meter entfernt von der im November 1938 zerstörten Synagoge, in der Schäffnerstraße 22.


Die Schäffnerstr. 22 heute

Der Vater Julius Jordan (geb. 1891) hatte am 18. Januar 1924 einen Großhandel für Tabak-, Kurz- und Zuckerwaren eröffnet. In den ersten Jahren war sein Geschäft in der Weiße-Lilien-Straße 9 gelegen. Er gehörte einer bekannten Regensburger Kaufmannsfamilie an, sein Vater Wolf hatte 1911 das Bürgerrecht in Regensburg erhalten und betrieb einen florierenden Viehhandel.
Julius hatte als Soldat im Ersten Weltkrieg gekämpft und war 1920 nach Regensburg zurückgekehrt.
Mit der Begründung seiner eigenen beruflichen Existenz als Kaufmann erfolgte als nächster Schritt, eine Familie zu gründen.
Seine Wahl fiel auf Rosa Gutmann aus Heidenheim bei Dinkelsbühl, sieben Jahre jünger als er. Die Hochzeit fand am 27. März 1925 in Mönchsroth statt, wo Rosas Mutter Jette Gutmann geboren wurde.
Die erste Tochter Klara wurde im März 1927 geboren. Im Jahr 1930 verlegten Leopold und Jette Gutmann, die Eltern von Rosa, ihren Wohnsitz nach Regensburg, sodass die angemietete Wohnung in der Sternbergstraße 12 zu klein wurde. Mit finanzieller Unterstützung der Familie konnte Julius Jordan im Jahr 1932 das Anwesen Schäffnerstraße 22 erwerben, bestehend Vordergebäude, Innenhof, Rückgebäude und Waschhaus.
Der Kaufpreis lag bei 23.000 RM. Im ersten Stock des Vordergebäudes zog die junge Familie nach einigen Umbaumaßnahmen ein, in unmittelbarer Nähe zur Großmutter väterlicherseits, Betty Jordan, die in der Fröhlichen-Türken-Straße 5 wohnte. Annelore, die zweite Tochter, kam 1933 zur Welt, die kleine Inge folgte 1935.Daraufhin unterstützte eine Haushaltshilfe Rosa im größer werdenden Haushalt.

Im September 1936 führte das Finanzamt Regensburg eine Betriebsprüfung durch.
Es wurden keinerlei Unregelmäßigkeiten festgestellt, allerdings wurde gefordert, zukünftig ein Wareneingangsbuch zu führen.
Doch auch Julius Jordan war von den Zwangsmaßnahmen der nationalsozialistischen Politik in den folgenden Jahren betroffen.
Das Geschäft im Erdgeschoß des Hauses musste er im August 1938 zu einem viel zu niedrigen Preis an Josef Ruhland, einem Mitglied der NSDAP, verkaufen, zum 1. September 1938 wurde sein Betrieb aus dem Handelsregister gelöscht. Im Vertrag wurde dem Käufer Ruhland aufgetragen, die drei Angestellten zu übernehmen sowie ein Vorkaufsrecht für das Anwesen eingeräumt So konnte die Familie die Wohnung im ersten Stock des Hauses weiterhin bewohnen. Sogar die Oma Jette Gutmann, die im Jahr 1931 Witwe geworden war, konnte 1935 von der Sternbergstraße in die Schäffnerstraße 22 umziehen.

Auch Julius Jordan wurde in der Nacht von 9. auf 10. November 1938 verhaftet und im KZ Dachau inhaftiert. Seine Frau Rosa bat am 29.11. in einem Schreiben an das Finanzamt um eine Verlängerung der Abgabefrist der fälligen Steuererklärung, da ihr Ehemann weiterhin in „Schutzhaft“ sei.
Seit der Freilassung aus dem KZ Dachau bemühte sich Julius Jordan um eine Emigration. Die wirtschaftliche Situation verschlechterte sich zunehmend, die Ersparnisse sicherten das Überleben nur unzureichend. Die Mietneinnahmen durch den zwangsweisen Verkauf seines Geschäftes an Ruhland betrugen monatlich nur 55 RM; die ursprünglich vereinbarten 70 RM wurden von den Prüfstellen als zu hoch empfunden und staatlicherseits reduziert.
Die Eltern entschieden daher, ihre älteste Tochter, Klara, mit einer jüdischen Hilfsorganisation nach Belgien zu schicken und beantragten die dafür nötigen Genehmigungen. Eine Auswanderung in die USA stand ebenfalls zur Diskussion, denn Eugen, der jüngere Bruder von Julius, lebte inzwischen in New York. Seine Bemühungen blieben erfolglos, sodass Julius schließlich eine Stelle als Hilfsarbeiter annahm, um das Familieneinkommen zu sichern. Aus welchen Gründen die Emigration nicht erfolgte, ist unklar.
Da mag der Namenszusatz, den jüdische Männer und Frauen auf Anordnung des nationalsozia-listischen Regimes tragen mussten, eine vergleichsweise harmlose Einschränkung gewesen sein: für Männer galt der Zusatz „Israel“, für Frauen „Sarah“ als deutliches Indiz ihrer jüdischen Identität.
Aus noch ungeklärten Umständen wurde Frau Gutmann im März 1940 in die Heil- und Pflegeanstalt Karthaus-Prüll eingewiesen. Mit weiteren elf jüdischen Patienten verließ sie Regensburg am 14. September 1940, da die jüdischen Patienten in den bayerischen Heil- und Pflegeanstalten ausgesondert wurden, um „Rassenschande“ zu verhindern, wie es ein Erlass des Reichsministeriums des Innern formulierte. Der Sammeltransport hatte die Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar (bei München) zum Ziel; von dort wurden die jüdischen Patienten nach wenigen Tagen zur Tötung in die Anstalt Grafeneck in Baden-Württemberg verlegt.
Die Transporte übernahm die Gemeinnützige Krankentransport Gesellschaft mbH (GEKRAT), die berüchtigt war wegen der grauen Busse, mit denen die Patienten regelmäßig gefahren wurden.
Im Gegensatz zur späteren Ermordung der nichtjüdischen Psychatriepatienten wurden zur Erfassung der jüdischen Patienten keine Meldebögen an die Anstalten verschickt. Diagnose, Dauer der Erkrankung oder eine mögliche Arbeitsfähigkeit hatten, wie Clemes Cording,der ehem. Leiter des Bezirksklinikums in seiner Denkschrift zur Geschichte von Karthaus-Prüll schreibt, bei jüdischen Patienten keinerlei Bedeutung.
Um die Angehörigen zu täuschen und eine Suche zu erschweren, wurden ihnen falsche Todesbenachrichtigungen zugeschickt, meist wurde als Absender eine Irrenanstalt Chelm in Polen angegeben, die jedoch im Herbst 1940 gar nicht mehr existierte. Einzelne Sterbeurkunden der Ermordeten wurden von Berlin ins besetzte Polen geschickt, dort mit dem Lubliner Poststempel versehen, um die Existenz einer solchen Anstalt weiter vorzutäuschen. Für die jüdischen Patienten aus Bayern lässt sich mit großer Wahrscheinlichkeit ein Transport nach Grafeneck vermuten.

Mein besonderer Dank gilt jenen Gästen, die im Oktober 2011 eine Donau-Kreuzschiffahrt mit der Reederei Viking unternahmen, denn sie spendeten den Betrag für einen Stolperstein für Frau Jette Gutmann.



Quelle: Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Stadtarchivs Regensburg


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