Publikationen
Regensburg 09.12.2016

           

Redebeitrag zur Buchpräsentation

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Wolbergs,

sehr geehrter Herr Dr. Hage,

sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Freunde,

ich freue mich außerordentlich über Ihr zahlreiches Kommen zu dieser Buchpräsentation und danke Ihnen von Herzen! Zeigen Sie doch damit auch Ihre Verbundenheit zu dem Projekt Gunter Demnigs.
Mein Dank gilt auch all jenen, die heute verhindert sind aufgrund vorweihnachtlicher Verpflichtungen und das Entstehen des Buches „Stolpersteine in Regensburg“ finanziell und/oder ideell unterstützt haben.
Im Besonderen gilt dies für die Sponsoren, die das Ergebnis dieser jahrelangen ehrenamtlichen Recherche auf ein gutes finanzielles Fundament stellten, um es der Öffentlichkeit in einer ansprechenden Form präsentieren zu können. Neben der Stadt Regensburg, vertreten durch den Oberbürgermeister und den Referatsleiter Herrn Dr. Hage, sind dies die Sparkasse Regensburg, der Sparda Gewinnsparverein, das Evangelische Dekanat Regensburg und die Donau-Stiftung.
Ausdrücklich möchte ich an dieser Stelle Herrn Thomas Muggenthaler nennen, der ohne lange zu zögern, sich bereit erklärte, zwei seiner bisher unveröffentlichten Interviews ausschnittsweise beizusteuern, die er in den 1990er-Jahren mit überlebenden RegensburgerInnen geführt hatte, nachdem er sie in den Ländern ihres erzwungenen Exils ausfindig machen konnte. Es sind einige unter ihnen, die ihre über Jahrzehnte schlummernden Erinnerungen erstmals mitteilten. Er hat wertvolle Arbeit für das Stadtgedächtnis geleistet, die ich hiermit würdigen möchte. Leider ist er heute verhindert, er wünscht der Veranstaltung jedoch gutes Gelingen.
Wie er hatte auch ich in den 1990er-Jahren erstmals die Gelegenheit erhalten, Überlebende kennenzulernen. Doch im Gegensatz zu ihm traf ich Menschen, die in Regensburg nur wenige Wochen lebten, als Zwangsarbeiter des KZ Flossenbürg im März 1945 abkommandiert, im Außenlager Colosseum für die Reichsbahn zu schuften, wie Herr Kolakowski, oder die in einem anderen der fast 100 Außenlager des KZ Flossenbürg inhaftiert waren. Unter unmenschlichen Bedingungen mussten sie Waffen produzieren, die dazu bestimmt waren, in ihren Herkunftsländern eingesetzt zu werden.
Und dennoch nahmen viele das Angebot an, dem Land einen Besuch abzustatten, das ihnen nicht nur ihre Jugend, sondern oftmals auch ihre Gesundheit und ihre Familie genommen hatte. Und – sie überreichten uns Geschenke und öffneten ihr Herz! Das bewegte mich tief! Es entstanden Brieffreundschaften, die uns viele Jahre verbanden.
Einige der sog. displaced persons blieben auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Regensburg. Es gab keine Heimat, in die sie hätten zurückkehren können, wie Otto Schwerdt s.A.. Er baute sich eine neue Existenz in dieser Stadt auf, gründete eine Familie und war viele Jahre im Vorstand der Jüdischen Gemeinde tätig.
Ich erinnere mich gut, wie er im Jahr 1995 vor den Ausgrabungen am Neupfarrplatz stand und wir ins Gespräch kamen über die Mauerreste, die ich gerade freilegte. Er lud mich in die Synagoge ein, und in den folgenden Jahren entwickelte sich eine wundervolle Freundschaft. Manchmal durfte ich ihn begleiten auf seinen Lesereisen. Seine persönlichen Erzählungen der Shoa haben nicht nur mich tief bewegt, sondern auch Hunderte von Schülern.
Als 10 Jahre später die Idee der Stolpersteine auch in Regensburg thematisiert wurde, war ich sofort begeistert und wollte das Projekt hier verwirklichen. Nach einem ersten Vortrag Gunter Demnigs im Evangelischen Bildungswerk war ich überzeugt von dem neuartigen Konzept von Gedenkarbeit. Zusammen mit weiteren 10 engagierten Mitstreitern gründeten wir den Arbeitskreis „Stolpersteine in Regensburg“. Der damalige Leiter des Evanglischen Bildungswerks, Dieter Weber, öffnete nicht nur sein Haus für die monatlichen Treffen, sondern übernahm die Öffentlichkeits- und Pressearbeit. Mit Zustimmung des Stadtrats und der Jüdischen Gemeinde verlegt Gunter Demnig seit 2007 jährlich auf öffentlichem Grund seine in Handarbeit hergestellten Gedenksteine.
Die letzte Verlegung fand vor 5 Wochen statt, nun gibt es 196 Stolpersteine in den Straßen Regensburgs. Und auch im nächsten Jahr planen wir eine weitere Verlegung. Alle Steine werden von Paten finanziert, es ist ein Projekt von Bürgern für Bürger!
Wir gedenken mit diesen Steinen all jener, die in dieser Stadt in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, entrechtet, ihrer wirtschaftlichen Existenz beraubt und schließlich deportiert und/oder getötet wurden.
Es waren unsere Nachbarn, Christen und Juden, Zeugen Jehovas und Atheisten, Sozialisten und Kommunisten, Kaufleute, Beamte, Arbeiter, Arbeitslose, Männer und Frauen. Die erste Gruppe, die dem Mordprogramm der nationalsozialistischen Ideologie zum Opfer fiel, waren Menschen mit geistiger oder psychischer Behinderung, Patienten der Heil- und Pflegeanstalt Karthaus-Prüll, aber auch der umliegenden Anstalten in kleineren Orten. Sie mussten sterben, weil sie unfähig waren, eine vergleichbare Arbeitsleistung zu erwirtschaften.
Die sog. T4-Aktion wurde erst nach 1 Jahr beendet, als die Widerstände der Familienangehörigen und kirchlicher Kreise zu laut wurden. Dennoch konnten jene Ärzte, die in den sechs reichsweiten Tötungsanstalten erste Erfahrungen mit dem Giftgas Kohlenmonoxyd gemacht hatten, ihre Karriere fortsetzen. Sie wurden in den Konzentrations- und Vernichtungslagern im damaligen Generalgouvernement eingesetzt.
Dort wurden nicht nur polnische BürgerInnen vergast, sondern nach den Beschlüssen der Wannsee-Konferenz auch deutsche Juden und Jüdinnen. Um Widerstandsaktionen zu verhindern, sprach die Reichsleitung von Umsiedlung in den Osten.
In Regensburg wurden die Beschlüsse seit Frühjahr 1942 umgesetzt. In zwei großen Transporten wurden ca. 240 Menschen jüdischen Glaubens deportiert. Zuerst wurden Familien mit Kindern angewiesen, ihre Koffer zu packen und sich für eine sog. Umsiedlung bereitzuhalten.
Ein halbes Jahr später mussten sich die Älteren verabschieden. Männer, die freiwillig im Ersten Weltkrieg gekämpft hatten, und ihren Ehefrauen war ein Aufenthalt in einem Altersheim versprochen worden. Doch das Ziel war das Ghetto von Theresienstadt unweit von Prag.
Zwei kleinere Gruppen wurden direkt in das KZ-Vernichtungslager Auschwitz deportiert.
In das KZ Auschwitz wurden anschließend auch Angehörige der Sinti und Roma deportiert, die dort separiert von anderen Opfergruppen lebten und unmenschlichen Behandlungen ausgesetzt wurden.
Für all diese und weitere Mitbürger, die sich dem Regime entgegengesetzt haben, haben wir Stolpersteine verlegt und ihre Lebensgeschichten recherchiert. Einige sind in diesem Buch, das heute vorgestellt wird, aufgeschrieben.
Zwei Gründe sind es, die mich bewogen, dieses Buch zu schreiben.
In Frankfurt lernte ich Ernst Holzinger kennen, der aus Tel Aviv kommend, den schönen Monat Mai in Deutschland genießen wollte, weil nur hier der Flieder so süß blüht und der Spargel am besten schmeckt. Im Hotel Steigenberger hatte er mich empfangen, ein kleiner Mann mit großer Brille, fast 90 Jahre alt. Er erzählte mir von seinen Eltern, die ein großes und gut eingeführtes Bekleidungsgeschäft in der Maxilianstraße besaßen, und von seiner Kindheit in der Weißenburgstraße. Und er wollte mich und die Idee der Stolpersteine kennenlernen.
Nach seiner Rückkehr schrieb er mir, dass er das Projekt gut heiße und für seine in Theresienstadt verstorbenen Eltern gerne zwei dieser Erinnerungssteine vor dem ehemaligen Wohnhaus in der Weißenburgstraße verlegen wolle. Und er wolle zu diesem Anlaß nach Regensburg reisen, das er bereits mehrmals besucht hatte, auch auf Einladung des vormaligen Oberbürgermeisters.
Und so geschah es. Zusammen mit einem guten Freund holte ich ihn am Flughafen in München ab, am darauffolgenden Tag fand die Verlegung statt. Es war ein kühler Tag, doch Ernst Holzinger genoß es sehr, im Beisein von Ihnen, Herr Wolbergs, über seine Eltern zu berichten. Auch ein anschließendes Interview mit der Presse bereitete ihm Freude, doch am meisten freute er sich über die vielen Jugendlichen, die der Verlegung beiwohnten!
Für den nächsten Tag waren diverse Einkäufe geplant; in resoluter Manier meinte Ernst nach dem Frühstück im Hotel Münchner Hof, er wolle nun zu „Schocken“ gehen. Und so zogen wir los zum Neupfarrplatz. Unterwegs fiel ihm dann das eine und andere ein, so als wären wir 70 Jahre zurückversetzt worden.
Wir verstanden uns sehr gut und der Abschied wäre wahrscheinlich schwerer gefallen, wenn wir nicht ausgemacht hätten, dass ich ihn im Winter in seiner neuen Heimat besuchen würde. Er war 1937 nach Palästina ausgewandert, meldete sich nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zur britischen Armee und diente in der Jüdischen Brigade. Als Soldat kehrte er nach Europa zurück, doch bei einem Besuch seiner alten Heimatstadt im Jahr 1945 erfuhr er, dass seine Eltern nicht überlebt hatten. Er kehrte nach Israel zurück und nach dem Militärdienst machte er sich selbstständig mit einem Reinigungsgeschäft.
Nun lebte er als rüstiger Witwer in einem Altersheim in Herzlia. Zweimal konnte ich ihn in den folgenden Jahren besuchen, er starb wenige Wochen vor einer weiteren geplanten Reise nach Regensburg im Herbst 2011.
Der zweite Grund ist ein aktueller. In meinen Stadtführungen zur jüdischen Geschichte, die ich seit vielen Jahren in Abstimmung mit der jüdischen Gemeinde anbiete, stelle ich das Projekt der Stolpersteine vor und erfahre viel Anteilnahme. Manche Gäste spenden spontan, um die Erinnerung an alle Opfer baldmöglichst zu verwirklichen. Andere fahren nach Hause und sammeln Geld, um uns mit einer Spende zu unterstützen. Eine Dame aus Canada bat ihre Geburtstagsgäste statt eines Geschenks um Unterstützung – und überwies 3000 Dollar! Diese großzügige Spende konnte für die Stolperschwelle in der Weißenburgstraße 31 eingesetzt werden.
Und immer wieder sprechen mich meine Gäste an, ob es denn möglich sei, die Familiengeschichten nachzulesen.
Und so bedurfte es keiner langen Überlegung, als mich Herr Wittl vor einem Jahr ansprach, ob ich Lust hätte ein Buch in seinem Verlag edition buntehunde zu veröffentlichen.
Nun ist es fertig, und ich bin glücklich. Es ist ein schönes Buch geworden, handlich, leicht lesbar und reich bebildert. Und ich danke allen, die zum Gelingen beigetragen haben!
Ich wünsche mir, dass das Buch ein Mosaiksteinchen beitragen kann zum besseren Verständnis der Ursachen von Diskriminierung und Gewalt sowie die großartigen Möglichkeiten verdeutlicht, die Demokratie und Religionsfreiheit uns allen bieten. Denn wir alle sind nicht nur Nachbarn, sondern auch Menschen, die in Frieden leben wollen.

Ich schließe mit den Worten Walter Benjamins, der im Exil Folgendes formulierte:

Schwerer ist es,

das Gedächtnis der Namenlosen zu ehren

als das der Berühmten.

Dem Gedächtnis der Namenlosen

ist die historische Konstruktion geweiht.

Walter Benjamin (1892-1940)

Danke für Ihre Aufmerksamkeit!


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